Das „SpaceCinema“ am Radom in Raisting ist Kult – das merkt man auch an den Besuchern. Manche lassen sich seit Jahren keine Freiluft-Aufführung entgehen und wissen nicht nur, wann sie kommen sollen, sondern auch, was sie mitnehmen müssen. Wir waren am Donnerstagabend dabei.
Raisting – Normal geht niemand dreieinhalb Stunden vor dem Filmstart ins Kino. Doch das „SpaceCinema“ am Radom in Raisting ist natürlich kein normales Kino. Deshalb trudeln am Donnerstag tatsächlich schon gegen 18 Uhr die ersten Besucher ein, um sich die perfekten Plätze zu sichern. Alle sind voll bepackt mit Taschen, Stühlen, Decken und teilweise mit Proviant. Einer sticht heraus mit seinem großen roten Backpacker-Rucksack: Rainer, der seinen Nachnamen nicht nennen will, zieht eine grüne Decke aus dem Rucksack und legt sie sorgfältig auf den Boden. Darauf platziert er auf der einen Seite zwei Kissen, auf der anderen eine Isomatte. Zusätzlich breitet er auf der Seite mit den Kissen ein aufblasbares, grünes Luftsofa aus und macht es sich darauf zur Probe schon mal bequem. Die Seite mit der Isomatte wird mit Decken gepolstert. „Ich komme immer schon so früh, da kann man den Pfadis noch persönlich ein bisschen Geld als Spende zustecken“, erzählt Rainer lachend.
Jeder Besucher wird mit einem Lachen begrüßt
Die „Pfadis“ sind die Veranstalter des Open-Air-Kinos, also die „Pfadfinderfreunde“. Wer an der „Spacebar“ ansteht und etwas bestellt, entdeckt die kleinen Verzierungen, die dort hängen: Kleine silberne Discokugeln, die die „spacige“ Atmosphäre des Radoms widerspiegeln sollen. Verschieden farbig leuchtende Bretter mit der Aufschrift „Spacebar“ präsentieren die Auswahl an Getränken. Zu Essen gibt es unter anderem Schupfnudeln, Gegrilltes und Crêpes. An der Kasse sitzt einer der „Pfadfinderfreunde“, Moritz Hartmann, und begrüßt jeden Besucher herzlich mit einem Lachen. Zum 16. Mal findet das einzigartige Open-Air-Kino am Radom in Raisting statt.
Das Areal reicht vom Radom bis zum hinten angrenzenden Feld. Man kann sich überall auf die Wiese setzen oder legen, wie man möchte. Nur nach hinten markiert ein blauer Lichtschlauch die Grenze und dient gleichzeitig als „Weghilfe“, um sicher zur Bar zu gelangen. An den Seiten sind vier Lampen aufgestellt, die in bunten Farben aufleuchten. Bis dahin ist die Sicht gut. Wer außerhalb der Markierungen sitzt, hat die Krümmung der „Dreiviertelkugel“ im Blick und das Bild des Films wird leicht verzerrt.
Durch die Boxen, die vor dem Radom auf dem Weg aufgebaut sind, erklingen zunächst ruhigere Rockklassiker wie zum Beispiel „Dead or alive“ von „Bon Jovi“. Später wird über diese Boxen der Ton des Films in vollem Klang zu hören sein. Die Technik der Open-Air-Veranstaltung wird aus einem Wohnwagen hinten am Feldrand gesteuert. Dort übernachten einige der „Pfadfinderfreunde“, da sie auch ein Auge auf ihr Equipment werfen müssen.
Viele haben Gartenliegen und -stühle dabei
Daniel Gerling hat sein Wohnmobil gleich neben dem Wohnwagen geparkt und vorne mit Kunstrasen und einem kleinen Gartenzaun verziert. „Das machen wir jedes Jahr, dass wir uns im Baumarkt kitschige Deko kaufen und eine ,Holland-Ecke‘ aufstellen“, erzählt Gerling lachend.
Nach und nach kommen immer mehr Besucher. Manche haben Gartenliegen oder -stühle im Gepäck, anderen reicht eine Wolldecke zum draufsitzen. Einige haben sich in warme, kuschelige Jacken gepackt. Lorenz Retting hat sogar seine eigene Bettdecke mitgebracht. Er kommt seit 2004 jedes Mal zum Open-Air-Kino und hat „schon so oft gefroren“. Deswegen will er es „gemütlich und warm“ haben.
Auch andere kommen auf spektakuläre Ideen: Die Brüder Hansi und Rudi Pschorn aus Raisting haben gemeinsam mit Freunden neben dem Wohnmobil der Veranstalter einen großen Hänger aufgestellt und auf diesem Couchen und Stühle platziert, um bequemer zu sitzen. „Das war um 19 Uhr eine spontane Aktion, weil wir seit ungefähr fünf Jahren jedes Jahr mit dem Hänger kommen“, erzählt Hansi Pschorn. Sie haben aber, wie Moritz Hartmann berichtet, eine einmalige Ausnahmegenehmigung: „Das darf wirklich nur die Dorfjugend“, sagt er verschmitzt.
Rainer hat es sich in der Zwischenzeit wieder auf seinem grünen Luftsofa bequem gemacht und freut sich über die gegenseitige Rücksichtnahme der Leute. „Da setzt sich keiner mit seinem Stuhl vor dich hin ohne zu fragen, ob du etwas siehst“, erzählt er. Die Atmosphäre speziell unter den Leuten gefällt ihm sehr gut. Rainer kommt seit sieben Jahren jedes Mal und versucht, an allen drei Veranstaltungstagen zu kommen.
Auch viele Familien sind da
Die meisten Besucher kommen aufgrund ihrer mitgebrachten Sitzmöglichkeiten mit dem Auto zum Radom. Dafür stehen zwei Parkplätze zur Verfügung. Viele kommen zu zweit, andere in großen Gruppen – auch Familien sind zahlreich vertreten. So auch Michi Manhart aus Raisting. Er ist mit seinen drei Kindern, Frau Isabella und Schwiegermutter Irmgard zu Besuch. Irmgard ist schon zum zehnten Mal da und kommt zu jedem Film. Dieses Beispiel zeigt: Ob Alt oder Jung, alle wollen gemütliche Stunden in einer besonderen Atmosphäre und Umgebung verbringen. Besucher Armin Sedlmayer, der direkt neben den Manharts auf seinem Campingstuhl sitzt, bezeichnet das „SpaceCinema“ und dessen Atmosphäre als „kleines Woodstock mit Cinema“. Es herrscht tatsächlich eine leichte Festivalstimmung an diesem lauen Sommerabend an der Erdfunkstelle.
Langsam setzt die Dämmerung ein, die Spannung steigt: Welchen Film wird es zu sehen geben? Denn die Titel dürfen aus werberechtlichen Gründen vorher nicht verraten werden. Ein Vorspann erscheint auf der 28 Meter breiten Leinwand am Radom – „Willkommen zum SpaceCinema 2019“ steht dort geschrieben. Ein kleiner „Pfadi“ verkauft Popcorn zwischen den Gästen, damit nicht jeder nochmal aufstehen muss und die eingekehrte Ruhe stört. Alexander Popfinger, ein weiterer „Pfadfinderfreund“, begrüßt die Gäste und bittet darum, die Mülltonnen zu benutzen, da sie großen Wert auf Umweltschutz legen. Deswegen gibt es für das Essen auch Holzschiffchen, die als Pfand gegen eine Süßigkeit wieder zurückgetauscht werden können. Alexander bedankt sich auch für alle Spenden, da sie alles ehrenamtlich veranstalten und darauf angewiesen sind.
Auch Rainers Frau Bea hat sich inzwischen zu ihrem Ehemann gesellt und sitzt neben ihm auf dem Boden, während er immer noch in seinem grünen Sofa liegt und genüsslich einen Crêpes isst. „Die Filme sind nie kitschig, sondern mit Sinn und Humor“, sagt der 60-Jährige. Dieses Jahr schafft er es leider nicht, auch Freitag und Samstag zu kommen. Umso mehr freut er sich auf diesen Abend.
Alle sind in Decken und Jacken gekuschelt
Endlich geht es los – es wird gezeigt, auf welche Filme man sich an den drei Tagen freuen kann. Am Freitag etwa standen gleich zwei Filme an: Um 22 Uhr der Animationsfilm „Die Unglaublichen zwei“ und im Anschluss, also erst nach Mitternacht, der Actionfilm „Mission Impossible Fallout“. Zum Auftakt am Donnerstag wurde „Hidden figures – unerkannte Heldinnen“ gezeigt, der sich passenderweise um die erste Mondlandung von 1969 dreht. Die jährt sich dieses Jahr zum 50. Mal und wäre ohne die Raistinger Erdfunkstelle nicht im Fernsehen zu sehen gewesen.
Es kommen auch nach Filmbeginn noch vereinzelt Filmfreunde und suchen nach einem Platz. Alle sind mittlerweile in ihre Decken und Jacken gekuschelt, da es – sobald die Sonne weg ist – ziemlich kühl geworden ist. Decken-Freund Retting hat also alles richtig gemacht. Es ist zudem ziemlich voll geworden auf der Wiese vor dem Radom, etwa 450 Besucher – weit mehr als zuvor für den Donnerstagstermin erwartet. Auch Rainer und Bea verfolgen den Film von ihrem perfekten Platz aus. Und freuen sich schon aufs nächstes Jahr, wenn sie wieder Stunden vor Filmstart zu diesem einzigartigen Kinovergnügen pilgern werden.
von Franziska Florian
Erschienen im Merkur online unter – https://www.merkur.de/lokales/weilheim/raisting-ort377058/radom-in-raisting-mit-bettdecke-ins-kino-12770609.html