Großes Kino auf dem Radom – Münchener Merkur

Sieben Pfadfinder stellen in Raisting jedes Jahr ein Kino-Spektakel auf die Beine. Sie nutzen das Radom, die alte Erdfunkstelle, als riesige Leinwand. Das machen sie seit 16 Jahren für den guten Zweck – und weil es eine Mordsgaudi ist.
Bis heute haben sie kei­nen der Filme ge­se­hen. Kei­nen ein­zi­gen. Sie er­in­nern sich mit ein bis­serl Nach­den­ken noch an den ers­ten, den sie ge­zeigt haben. „Mars At­tacks war das, 2002“, sagt Alex­an­der Popfin­ger schlie­ß­lich und grinst: „Wir zei­gen immer ir­gend­was mit Welt­raum­be­zug. Heißt ja schlie­ß­lich Space Ci­ne­ma.“ Die­ses Welt­raum-Kino, das über die Kup­pel der ehe­ma­li­gen Erd­funk­stel­le Radom bei Rais­ting im Kreis Weil­heim-Schon­gau flim­mert, ist mit ei­ni­ger Si­cher­heit das au­ßer­ge­wöhn­lichs­te Open-Air-Kino im gan­zen Ober­land.
Jedes Jahr ma­chen es sich hier an drei Som­mer­aben­den hun­der­te Men­schen auf der frisch ge­mäh­ten Wiese ge­müt­lich. Sit­zen auf mit­ge­brach­ten Pick­nick­de­cken, Lie­ge­stüh­len, Bier­bän­ken und Iso­mat­ten. Sehen nach Son­nen­un­ter­gang Film­klas­si­ker, Ani­ma­ti­ons­fil­me und ak­tu­el­le Ki­no­hits. Und jedes Jahr haben sie­ben ehe­ma­li­ge Pfad­fin­der-Grup­pen­lei­ter im Alter zwi­schen 29 und 45 Jah­ren und ihre Hel­fer alle Hände voll zu tun.
Seit 16 Jah­ren geht das schon so. Drei Aben­de lang gril­len sie, schen­ken Ge­trän­ke aus, ver­kau­fen Pop­corn und Sü­ßig­kei­ten. Räu­men die Wiese auf – ob­wohl sie na­tür­lich um jeden Gast froh sind, der sei­nen mit­ge­brach­ten Müll selbst mit­nimmt. Sie sor­gen dafür, dass die Tech­nik nicht streikt, mähen die Wiese, wenn es der Land­wirt ver­ges­sen hat, und küm­mern sich darum, dass die klei­nen und gro­ßen Be­su­cher des Space Ci­ne­ma eine Mords­gau­di haben. So wie sie selbst.
Ein bis­serl ist das Ganze wie ein Män­ner-Cam­ping-Aus­flug. „Für uns sind diese Tage ein Mini-Ur­laub“, sagt Da­ni­el Ger­ling. Er kommt jedes Jahr mit sei­nem Wohn­wa­gen samt Kunst­ra­sen und Gar­ten­zaun, seine Deko sorgt bei den Gäs­ten immer wie­der für Stau­nen. Am Abend spu­cken er und sein Bru­der Bas­ti­an zur Un­ter­hal­tung Feuer. „Es gibt das ganze Jahr nicht so viel zu la­chen wie an drei Tagen Space Ci­ne­ma“, fin­det Ger­ling. Dabei ist es viel Ar­beit, ein Open-Air-Kino die­ser Größe auf­zu­zie­hen – und das nicht erst, wenn der Ter­min näher rückt.
Mo­na­te­lang or­ga­ni­sie­ren sie das Spek­ta­kel, küm­mern sich um die Ver­pfle­gung, or­ga­ni­sie­ren Tech­nik und Toi­let­ten, ver­han­deln mit dem Land­kreis, dem das Radom in­zwi­schen ge­hört, und dem Film-Ver­lei­her. Und trotz­dem: An ers­ter Stel­le steht für die Män­ner­trup­pe der Spaß. Und der gute Zweck.
Sie ver­lan­gen kei­nen Ein­tritt für das Open Air. Aber sie sam­meln Spen­den. „Wer mag, darf was in un­se­re Spen­den­roh­re ste­cken, wenn es ihm ge­fal­len hat“, sagt Popfin­ger. Das Geld und die Ein­nah­men vom Ver­kauf von Essen und Ge­trän­ken flie­ßt in die Nach­wuchs­ar­beit der Pfad­fin­der im Nach­bar­land­kreis Lands­berg am Lech – da kom­men sie näm­lich alle her.
Mit dem Space Ci­ne­ma ist es wie mit vie­len sau­gu­ten Ideen: Um sie zu haben, muss man ein bis­serl gspin­nert sein. Und das sind diese ehe­mals ak­ti­ven Pfad­fin­der im bes­ten Sinn. Vor über 20 Jah­ren waren ein paar von ihnen beim Open-Air-Kino am Münch­ner Kö­nigs­platz. Da­mals waren sie Grup­pen­lei­ter und dach­ten sich: Das könn­ten wir doch auch bei uns ma­chen. Also fan­gen sie bei sich am Ort an, in Kaufe­ring gibt es das erste Kino, nur für die Pfa­dis, im klei­nen Kreis und mit selbst ge­mach­ter Lein­wand, die sie auf­wen­dig auf­bau­en. „Und dann kam Blue Pla­net. Ein Pfad­fin­der­la­ger an einem Wei­her bei Rais­ting“, sagt Ger­ling. Da fällt es ihnen ins Auge: das Radom.
Die seit 1985 still­ge­leg­te Erd­funk­stel­le – eine stre­ben­lo­se Trag­luft­kup­pel mit 49 Me­tern Durch­mes­ser, im In­ne­ren steckt eine Pa­ra­bol­an­ten­ne – ist denk­mal­ge­schützt. Erst ge­hör­te sie der Te­le­kom, spä­ter wurde sie an den Land­kreis über­ge­ben, fir­miert heute als Radom Rais­ting GmbH und kann als In­dus­trie­denk­mal be­sich­tigt wer­den. Könn­te man auf die­sem Ding viel­leicht Filme zei­gen?
2001 star­ten sie einen Ver­such, mit Not­strom­ag­gre­gat, klei­nem Bea­mer und den ab­ge­stöp­sel­ten Boxen einer Ste­reo­an­la­ge. Sie mer­ken so­fort: Man kann. Im Jahr dar­auf ver­han­deln sie mit der Te­le­kom. Nach und nach be­kom­men auch Nicht-Pfad­fin­der Wind vom ku­rio­sen Kino, die Be­su­cher­zah­len stei­gen.
Auch wenn die Ma­cher be­haup­ten, dass das Ganze auch heute noch nicht wirk­lich pro­fes­sio­nell or­ga­ni­siert sei: Sie wer­den mit jedem Jahr bes­ser. „Du lernst ja aus dei­nen Feh­lern“, sagt Mo­ritz Hart­mann, der sich vor allem um Ge­neh­mi­gun­gen und Ver­hand­lun­gen küm­mert. „Wir neh­men uns immer vor, Sa­chen, die im einen Jahr nicht op­ti­mal lie­fen, im nächs­ten Jahr bes­ser zu ma­chen.“
Doch selbst, wenn man noch so gut plant, eines ist nie plan­bar: das Wet­ter. In den meis­ten Jah­ren hat­ten sie Glück. Aber 2012 hat es sie re­gel­recht weg­ge­weht: Eine Wind­ho­se schoss übers Feld, zer­stör­te alle Zelte. Ein gro­ßes Bier­zelt, das für eine an­de­re Ver­an­stal­tung auf­ge­stellt war, trug der Sturm kom­plett weg. „Gegen so was sind wir macht­los“, sagt Hart­mann. Ob das Kino ins Was­ser fällt, ent­schei­de sich immer zwi­schen 18 und 20 Uhr. „Wenn es da reg­net, kom­men die Leute auch spä­ter nicht.“
Ein Open Air ist immer ein fi­nan­zi­el­les Ri­si­ko, auch wenn es eine Grup­pe von Spezln or­ga­ni­siert. Darum haben sie einen Ver­ein ge­grün­det, die „Pfad­fin­der­freun­de DPSG, Be­zirk Ro­chus Spiecker e.V.“ Der Ver­ein ist der recht­li­che Trä­ger des Space Ci­ne­ma. Sie su­chen immer Spon­so­ren und För­de­rer.
„Frü­her haben wir un­se­re Freun­de an­ge­haut, die Fir­men haben“, sagt Hart­mann. „Aber je grö­ßer die Ver­an­stal­tung wird, desto mehr Hilfe brau­chen wir.“ Die be­kom­men sie auch von ihren Fa­mi­li­en. Popfin­gers Kin­der, eben­falls Pfad­fin­der, haben Bauch­lä­den ge­bas­telt, aus denen sie heuer erst­mals Sü­ßig­kei­ten ver­kau­fen. Der Vater von An­dre­as Gut­wil­lin­ger hat der Trup­pe einen gro­ßen Grill ge­baut, damit sie die Masse an Grill­fleisch – letz­tes Jahr waren es 600 Steaks und 800 Würstl – ge­grillt be­kom­men. Die Ver­an­stal­tungs­tech­nik kommt von einem Freund, der sonst die Olym­pia­hal­le aus­stat­tet. Und ein Gast, der bei einer we­ni­ge hun­dert Meter wei­ter ge­le­ge­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fir­ma ar­bei­tet, schal­tet abends extra die Be­leuch­tung der be­nach­bar­ten Pa­ra­bol-An­ten­nen für das Space Ci­ne­ma ein.
Mit ihrem Pro­gramm wer­ben sie üb­ri­gens nicht: Auf dem Pla­kat ste­hen nur die Daten, nicht die ge­zeig­ten Filme. Es steht auch nicht drauf, dass ihr Spezl An­dre­as Sedl­meir, ein Sin­ger-Song­wri­ter, auf­tritt. Oder dass die Pfad­fin­der am Frei­tag einen Work­shop zum Bauen eines Schwe­den­stuhls an­bie­ten. Wer genau wis­sen will, was an den drei Aben­den ge­zeigt wird, kann sich bei ihnen mel­den, ein Ge­heim­nis ist das Pro­gramm nicht. Es soll für alle was dabei sein, Kin­der­fil­me und ak­tu­el­le Block­bus­ter – die müs­sen al­ler­dings be­reits auf DVD er­hält­lich sein, sonst gibt’s keine Frei­ga­be.
Sie alle mögen Kino, aber die Filme sind für die Space-Ci­ne­ma-Ma­cher nicht das Ent­schei­den­de: „Wir wol­len ein­fach eine coole Ver­an­stal­tung haben“, sagt Hart­mann. Aber wer weiß? Viel­leicht klappt es ja dies­mal, dass sie einen der Filme sehen.
Das Space Ci­ne­ma
flim­mert von Don­ners­tag, 12. Juli, bis Sams­tag, 14. Juli, über das Radom in Rais­ting. Die Vor­stel­lun­gen be­gin­nen mit Ein­bruch der Dun­kel­heit, be­wir­tet wird ab 19 Uhr. Infos zum Pro­gramm gibt’s auf Face­book: www.​facebook.​com/​SpaceCinema/
Von Katrin Brack
Erschien in der Printausgabe vom Münchener Merkur am 7. Juli 2018

 

Das Radom als Kinoleinwand – Landsberger Tagblatt
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